Archive for January, 2017

Es ist nicht das erste mal, dass der Ambientmusiker Will Long alias Celer die Inspiration, die er auf Reisen gesammelt hat, zum Ausgangspunkt seiner Soundscapes macht. Auf „Two Days and One Night“ entwirft er ein Narrativ, zu dem der oft strapazierte Begriff „vielschichtig“ einmal wirklich passt, denn hier werden zwei Reisen in einer Geschichte verarbeitet: eine eigens unternommene und klanglich dokumentierte, daneben die lange zurückliegende Reise einer anderen Person, die er aus Erzählungen und Spekulationen rekonstruiert hat. Gemeinsam ist der Ort, an den es die beiden Reisenden verschlug, und die Familiengeschichte der beiden als Rahmen.

Mitte der Achtziger flog ein Großonkel Longs von New York nach Tunesien und mietete sich in einem Hotel in der Küstenstadt Hammamet ein. Von dort schrieb der bereits Achtzigjährige noch eine Postkarte an seine Familie zuhause. Tags drauf besorgte er sich eine Schwimmausrüstung, schwamm ins Meer hinaus und ertrank. Dass die Postkarte keine Nachricht, nur die Adresse der Empfänger enthielt, musste aus der Begebenheit fast zwangsläufig einen Mythos machen. 2015 besuchte Long Tunesien und reiste auf den Spuren seines Großonkels von Tunis nach Hammamet.

Auf „Two Days and One Night“, in den Samples, aber auch im atmosphärischen Narrativ der Musik, fließen beide Geschichten immer wieder ineinander – die Eindrucke, die der Musiker aufnahm, die Frage, auf welche Details sein Verwandter damals vielleicht geachtet hatte, die typischen Klänge der Orte, die beide – vermutlich – gesehen und gehört haben, und die tiefe, undurchdringliche Traurigkeit, in die sich der Onkel, der zwangsläufig fiktionale Züge bekommt, und der Musiker gleichermaßen einschreiben. In den alles überflutenden Wellen aus schweren Synthiesounds, die in beinahe jedem Stück die zahlreichen Feldaufnahmen früher oder später überfluten wie das Meer einen einsamen Schwimmer, scheinen beide Geschichten und beide Protagonisten miteinander zu verschmelzen.

Das Verschwinden zahlreicher Samples unter schweren Soundschichten ist in der Tat ein besonders auffälliges merkmal dieses Albums, denn in der Vergangenheit hielten sich der ambiente Rahmen und die an markanten Orten aufgeschnappten Details meist die Waage, Samples brachen immer wieder durch die Oberfläche der Soundscapes und bewirkten so, dass die Arbeiten einen hörspielartigen oder, wenn man so will, semi-dokumentarischen Charakter bekamen. Auf „Two Days and One Night“, dessen Titel bereits zeitliche Kürze impliziert, fällt beinahe alles dem Verschwinden anheim: brummende Motoren, hastige Schritte, tolle Melodien auf orientalischen Flöten, eine Durchsage auf französisch, vermutlich an einem Bahnhof, die Brandung. Wenig davon hat lange Bestand.

Es dauert nur eine kurze Zeit, bis sich ambiente Sounds, filigran gestaltet und stets in gemächlicher vibrierender Bewegtheit, über all das legt, es aufgehen lässt in einer leicht sehnsüchtig eingefärbten Schwermut, die den ganzen musikalischen Raum ausfüllt. „The Fear to Touch the Sand“ enthält nur die Geräusche der sanften Gezeiten, leicht verfremdet zu einem dubbigen Vibrato – sie werden als einzige von keiner Welle verschlungen. All dies sollte einen trotz allem nicht zu allzu konkreten Bedeutungszuweisungen verführen, denn die Musik (und auch die Tracktitel, die größtenteils auf Orte und ihre Eigenschaften referieren) bewahrt sich eine Offenheit, die den Mythos dieser beiden Episoden näherbringt und zugleich bestehen lässt.